Montag, 12. Dezember 2016

Krakau

Wie schon im letzten Post versprochen möchte ich hier ein bisschen mehr von meinem Wochenendausflug Ende November nach Krakau sowie zum ehemaligen KZ Auschwitz-Birkenau berichten.

Lange Zeit habe ich das Reisen in Polen ein wenig vor mir hergeschoben, Poznan ist ja auch eine ziemlich schöne Stadt und ich wollte zunächst einmal das Leben hier genießen und die Stadt erkunden, bevor ich mich auf andere polnische Städte stürzte. Eine Liste gab es dennoch: Krakau, Danzig, Thorn und natürlich Warschau, vielleicht Stettin und einige kleinere Städte rund um Poznan natürlich auch irgendwann.

Als dann schon in der zweiten Woche die ersten Erasmusstudenten anfingen übers Wochenende rumzureisen, teilweise drei Städte an drei Tagen anzusehen und einige sich sogar schon nach Stockholm oder Edinburgh aufmachten und ich irgendwie immer noch "nur" Poznan gesehen hatte, wurde mir doch etwas mulmig. Verpasse ich etwas? Eine Frage, die man sich in unserer Gesellschaft wahrscheinlich ohnehin zu oft stellt und wie es meist ist, war sie eigentlich vollkommen unbegründet.

Zum einen sind die meisten Erasmusstudenten nur für ein Semester gekommen und fangen nun schon an zu jammern, wie wenig Zeit ihnen noch bleibt (tatsächlich ist ein Semester hier ja auch kaum mehr als 4 Monate, abzüglich der Weihnachtszeit, die die meisten zu hause verbringen), zum anderen gibt es eben Leute, die einfach viel lieber reisen als ich. Ja - das klingt vielleicht seltsam von jemandem, den es ständig in die Ferne zieht aber ich habe eine ganz besondere Form des langsamen Reisens für mich entdeckt: Woanders leben.

Tatsächlich kann ich diesem schnellen Sightseeing-reisen kaum etwas abgewinnen, ich sehe keinen so großen Wert darin möglichst viel einmal gesehen zu haben und dann trotzdem nichts darüber zu wissen, nicht ins Leben eingetaucht zu sein oder das nicht zumindest versucht zu haben.

So machte ich mich im Vergleich mit so manch anderen Studierenden hier relativ spät zum ersten Mal auf um eine andere polnische Stadt zu sehen: Krakau sollte es sein. Anlass war ein verlängertes Wochenende, denn mein Kurs am Freitag fiel aus und Montags habe ich ohnehin keine Uni. Krakau ist etwas weniger als sechs Stunden Zugfahrt entfernt, da muss man schon ein bisschen Zeit einplanen und schließlich hatten auch alle, die dort schon einmal gewesen waren, nur davon geschwärmt.

So stand ich also früh am Freitag morgen (um keine Missverständnisse zu erzeugen, früh für studentische Verhältnisse, also 7:30 Uhr) auf und machte mich auf den Weg zum Bahnhof. Das Ticket hatte ich schon zuvor gekauft, als Student (mit polnischem Studentenausweis) bekommt man 50% Rabatt auf die Zugfahrten, damit haben Hin- und Rückfahrt für mich etwa 15€ gekostet.

Noch am Bahnhof traf ich einen anderen internationalen Studenten aus Poznan, der sich auch auf die Reise nach Krakau machte für das Wochenende und mich noch gehörig nerven sollte. Über die Zugfahrt gibt es kaum viel zu sagen: Sie war lang, kalt (eine Mitreisende in meinem Abteil meinte in jedem der gefühlt tausend Bahnhöfe, in denen wir hielten das Fenster sofort aufreißen zu müssen - und das bei Temperaturen knapp über 0 und keiner wirklichen Heizung im Zug) und nicht sonderlich spannend. In Krakau angekommen machte ich mich zunächst auf zu dem Hostel, das ich gebucht hatte - direkt in der Innenstadt gelegen der ideale Ausgangspunkt für das Wochenende.

Nachdem ich dort mein Bett in einem Viererzimmer bezogen hatte, unternahm ich eine kleine Erkundungstour -mittlerweile war es dunkel geworden- und stieß bald auf den Krakauer Weihnachtsmarkt direkt um die Ecke vom Hostel auf dem Hauptmarkt gelegen. Er hatte an diesem Wochenende begonnen. Neben Glühwein - tatsächlich darf dieser, wenn an der Bude gekauft auch unter freiem Himmel getrunken werden, trotz Alkoholverbot in der Öffentlichkeit - gab es auch allerhand Kunsthandwerk und polnische Leckerein zu kaufen.

Am nächsten Tag führte mein Weg mich zunächst am morgen auf den Krakauer Kriegerfriedhof, auf dem mein Urgroßvater, der als deutscher Soldat im zweiten Weltkrieg starb, begraben liegt. 1993 wurde zwischen den beiden Grabfeldern der Deutschen - auf dem Friedhof liegen auch gefallene Soldaten anderer Nationen- eine Gedenkstätte angelegt. Dort sind nun auch die Namen der über 2000 dort begrabenen deutschen Soldaten auf Gedenktafeln eingetragen.


Mehrsprachige Tafel am Eingang des Friedhofes.

Nach einigem Verweilen dort zwischen den Gräbern machte ich mich wieder auf den Rückweg zur Altstadt, wo ich an zwei kostenlosen Stadtführungen teilnahm (natürlich nicht ganz kostenlos, denn Trinkgeld wird erwartet). Die erste war eine Führung durch die Altstadt und zur Burg. In den zwei Stunden sah ich nicht nur nahezu alle wesentlichen Gebäude im Zentrum sondern hörte auch zahlreiche Legenden und Geschichten zur Stadt.

Eine ganz besondere davon ist die, die sich um den Drachen von Krakau rankt, der in einer Höhle unter der Burg gehaust haben soll. Entstanden ist die Legende wohl, weil man beim Bau der Burg zwei gigantische Knochen fand, deren Herkunft man sich nicht erklären konnte. Da man im 13. Jahrhundert noch nichts von Walen oder gar Mammuts wusste (denn daher stammen die beiden Knochen, wie man später nachgewiesen hat), konnte man sie sich nur mit der Existenz eines Drachens erklären. Die Höhle, die man fand, machte die Geschichte natürlich perfekt. Die beiden Knochen wurden neben dem Eingang der Kathedrale auf der Burg aufgehängt, Drachenknochen vertreiben ja bekanntlich das Böse und sind auch heute noch dort zu finden.


Innenhof der Burg, auf der auch die polnischen Könige lebten.

Natürlich sind daher auch in jedem Souveniershops Drachen allgegenwärtig und hinter der Burg vor dem Eingang der Höhle gibt es sogar eine Drachenstatue, die gelegentlich Feuer speit.

Die zweite Tour am Nachmittag führte mich dann in das jüdische Viertel Kazimierz und das ehemalige jüdische Ghetto. Während Kazimierz vor allem durch den Film Schindlers Liste bekannt wurde und heute eines der beliebtesten Kneipenviertel der Stadt ist, erinnert im ehemaligen jüdischen Ghetto kaum etwas an die dunkle Vergangenheit. Die Mauern, die die jüdischen Bewohner der Stadt innerhalb des Ghettos hielten und sie von der Außenwelt und allen Versorgungsmöglichkeiten abschnitten, sind nur noch an wenigen Stellen vorhanden. Stattdessen wurden teilweise neue Häuser gebaut, direkt am Flussufer wollen viele gerne wohnen.

Eine Installation mit leeren Stühlen auf dem Platz, auf dem sich bei der Räumung des Ghettos die Bewohner versammelten und wo entschieden wurde, in welches Konzentrationslager - ob zum Arbeiten nach Plaszow oder in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau- sie gebracht wurden. Da den Bewohnern nur mitgeteilt wurde, dass sie umgesiedelt werden sollten, brachten sie ihr Hab und Gut mit auf den Platz und wurden angewiesen, es dort stehen zu lassen, es würde nachgeliefert werden - natürlich eine Lüge der Nazis um die Leute ruhig zu halten. Die Stühle stehen daher symbolisch für die Besitztümer, die die Bewohner zurückließen und die nach deren Abtransport auf dem Platz stehen blieben.


Die leeren Stühle im ehemaligen jüdischen Ghetto.

Noch mit den Eindrücken dieser zweiten Führung im Kopf ging es für mich am nächsten morgen dann zusammen mit einer Gruppe zur Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Dieses größte KZ war in drei Bereiche gegliedert: das Stammlager Auschwitz, das Vernichtungslager Birkenau und Auschwitz Monowitz, in direkter Nähe zur IG Farben, die ihre Arbeitskräfte aus dem KZ bezog. Zusammen mit der internationalen Gruppe wurde ich auf Englisch durch das Stammlager und anschließend nach einer kurzen Busfahrt durch einen Teil von Birkenau geführt.

Ich war noch nie zuvor in einem ehemaligen KZ gewesen und es fällt mir auch schwer meine Empfindungen dazu in Worte zu fassen, denn alle Worte scheinen irgendwie nicht richtig zu sein. Es war ein beeindruckendes und bedrückendes Erlebnis und ich werde es sicher nie vergessen.

Der bekannte Schriftzug über dem Tor von Auschwitz I (Stammlager)

Innerhalb von Auschwitz I.

Das Krematorium, direkt neben der Gaskammer.

Der Eingang zum Vernichtungslager Birkenau.
Innerhalb einer der Baraken.

Nach diesen eindrucksvollen Erlebnissen blieb mir am Montag noch ein halber Tag in Krakau, am frühen Nachmittag ging mein Zug zurück nach Poznan. Ich nutzte die Zeit um noch einmal durch die Altstadt zu streifen und mir einen Eindruck von einem ruhigeren Krakau - denn mit Ende des Wochenendes waren auch die Touristenmassen verschwunden- zu machen. Dabei bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass Krakau zwar touristisch einiges zu bieten hat, ich jedoch lieber in Poznan lebe und studiere als in einer so touristischen Stadt.

Bevor es endgültig in Richtung Bahnhof ging besuchte ich noch das Museum unter dem Hauptmarkt, wo durch Ausgrabungen alte mittelalterliche Marktstände freigelegt wurden sowie Teile von Gebäuden. Die Ausstellung ist durch zahlreiche Informationen über die Stadtgeschichte bereichert und man kann dort ohne weiteres drei Stunden verbringen ohne sich zu langweilen, während über einem die Menschen über den heutigen Marktplatz schlendern.

Ein Teil des ausgegrabenen alten Marktplatzes.

Möglich ist dieser Krakauer Untergrund dadurch, dass Krakau im Mittelalter mehrere Meter tiefer lag, als zur heutigen Zeit. Da man keine befestigten Straßen hatte, legte man Stroh und andere Materialien auf den Straßen aus, die sich über die Jahre mehrere Meter hoch schichteten und das gesamte Niveau der Stadt dadurch anhoben. So ist auch die Stadtmauer heute bis zu sieben Meter kleiner als noch zu Zeiten der Könige in Krakau.

Für die Rückfahrt landete ich in einem ausgesprochen gut ausgestatteten Zug, der einem deutschen ICE in nichts nachsteht, klimatisiert - in diesem Falle geheizt- und mit mehr Platz als die Abteile in den alten Wägen. An der Länge der Fahrt änderte das natürlich nichts aber es machte es immerhin ein wenig erträglicher.

Mein Fazit von diesem Wochenendausflug sind viele beeindruckende Erlebnisse und Orte, die ich wohl nicht vergessen werde, einige nette Leute, die ich im Hostel kennen gelernt habe und die Gewissheit, dass ich mit Poznan eine gute Wahl getroffen hatte, auch wenn viele Leute noch immer von Krakau schwärmen. Es ist eben auch gut, sich selbst einen Eindruck zu machen und sich ein eigenes Urteil zu bilden.