Donnerstag, 2. Februar 2017

Polnisches Studentenleben - Rückblick auf das erste Semester


Eigentlich war ja gestern der letzte Tag des Semesters an der Uni und heute beginnt die exam-period, die Prüfungsphase, die bis zum 19.2. andauert und damit nahtlos an das Sommersemester grenzt, dass ab dem 20. Februar beginnt. Ich hatte heute trotzdem noch einen Kurs, warum auch immer und starte daher erst morgen in eine kurze Ferienphase, da bei mir keine Klausuren anstehen. So möchte ich diesen Eintrag nutzen um einen kurzen Rückblick auf das Wintersemester an der AMU Poznan zu werfen.

Es hat zugegebenermaßen ziemlich chaotisch begonnen im Oktober mit den ersten Wochen, in denen man sich den Stundenplan zusammenstellen und sich für die Kurse registrieren sollte. Vier Leute brauchte es am geographischen Institut, damit einer der angebotenen Kurse auf Englisch zustande kommen konnte, an anderen Fakultäten lag die Mindestteilnehmerzahl noch höher.

Nachdem auch die Zeitangaben der Kurse sich zweimal in der ersten Woche änderten und einiges hin- und hergeschoben oder gestrichen wurde, war ich doch wirklich froh, als mein Stundenplan in der dritten Woche endlich feststand. Insgesamt hatte ich vier unterschiedliche Kurse + Polnischunterricht zwei Mal die Woche.

Montags habe ich mir einen freien Tag erhalten können, am Dienstag stand "nur" der Polnischkurs mit 2,5 Stunden auf dem Programm. Mittwoch hatte ich einen GIS (Geoinformationssysteme)- Kurs, der sogar zustande kam, obwohl wir nur drei Teilnehmer waren. Bei einem so praktischen Kurs, bei dem durch die Arbeit mit einem Computerprogramm ständig Fragen auftauchen, war das natürlich optimal. Anschließend an diese Veranstaltung saß ich Mittwochs stets bis 18 Uhr in der Uni und versuchte meine Begeisterung für polnische Grammatik zu entdecken... vergeblich.


Ausdruck meiner Liebe zur polnischen Grammatik - ein Überblick zur Prüfungsvorbereitung.


Donnerstag begann für studentische Verhältnisse viel zu früh mit dem Klingeln meines Weckers zu fast noch nächtlicher Stunde - 8:15 Uhr! Besonders tragisch ist das, wenn man bedenkt, dass die Veranstaltung mit dem Namen Innovativeness and the knowledge based economy in the European Union erst um 9:45 Uhr begann und das frühe Aufstehen alleine der Tatsache geschuldet war, dass das geographische Institut einfach am hinterletzten Ende (ist das nicht eine tolle Umschreibung für dieses andere unschickliche Wort, dass sich auf ein gewisses Körperteil bezieht) von Poznan im Wald liegt (vielleicht erinnert sich der ein oder andere ja an die Wildschweinwarnung dazu aus einem meiner älteren Posts...).

Der Weg von mir zu den Geographiekursen nahm also je nach Verbindung zwischen 25-45 Minuten in Anspruch - einfach! Ziemlich verrückt, wenn man dann noch bedenkt, dass ich am Donnerstag nach dem Innovativeness-Kurs am Nachmittag um 15 Uhr noch einmal eine Veranstaltung hatte. Political History of Congo wurde zwar nicht am geographischen Institut unterrichtet, fand aber quasi kurz vorm hinterletzten Ende von Poznan am Politikinstitut statt, zu dem man "nur" 15 Minuten Tramfahrt und 10 Minuten Fußmarsch auf sich nehmen musste. Vor allem bei Minusgraden im Dezember und Januar eine wahre Freude für mich Wintermuffel...

Der Congo-Kurs war aber tatsächlich eine meiner Lieblingsveranstaltungen, weshalb ich den Weg wirklich jeden Donnerstag auf mich nahm um mir etwas über die Geschichte dieses Landes erzählen zu lassen. Nächstes Semester werde ich bei dem gleichen Dozenten einen Kurs mit dem Titel Introduction to African Politics haben und bin schon sehr gespannt darauf!

Der Freitag war dann schließlich einer dieser Tage, bei denen ich mich jedes Mal zum Beginn des Seminars Theory and Practice of the Sustainable Development fragte, warum ich noch einmal genau aufgestanden war. Der Professor war ein recht interessanter, älterer Herr, der in ca. jeder Stunde mindestens einmal WW1 [world war one - 1. Weltkrieg] an die Tafel schrieb, gelegentlich auch mit entsprechenden Jahreszahlen, als wäre das etwas, von dem wir alle noch nie etwas gehört haben...

Der Freitagmorgen war also einer dieser Tage, an denen man sich unbedingt für 2zl einen Kaffee aus dem Institutsautomaten herauslassen musste, um die angedachten 1,5 Stunden zu überstehen, die sich meist auf zwei bis im Extremfall 2,5 Stunden ausdehnten, wenn sich einfach keine gute Gelegenheit bot den Dozenten dezent auf die Uhrzeit hinzuweisen, beziehungsweise dieser es gekonnt ignorierte.

So war es auf seine eigene Art wahrscheinlich der unterhaltsamte Kurs, wozu auch eine kleine Entführungsgeschichte beitrug, in die ich mit zwei anderen Erasmusstudenten verwickelt wurde. Tatsächlich waren wir in dem besagten Freitagskurs lediglich zu fünft und meist traf man die Hälfte der Gruppe, wenn nicht sogar auch den Dozenten schon im Bus auf den Weg zur Uni, schließlich gibt es nicht viele Möglichkeiten an einen so abgelegenen Ort zu kommen.

An einem Freitagmorgen im Januar war dies jedoch anders. Während ich zwei Mitstudenten im Bus traf, fehlte von dem Professor und den anderen beiden Teilnehmern jede Spur. Durchaus merkwürdig, denn der Dozent war sonst immer recht pünktlich. So dachten wir uns alle drei nichts dabei, als nach 10 Minuten ein anderer Mann ankam und auf Englisch fragte, ob wir Erasmusstudenten seien. Klar, sind wir - dann sollen wir ihm bitte folgen.

Vollkommen unbedarft, wie man es wahrscheinlich nur als unausgeschlafene Studentin ist, folgten wir dem Dozenten also und erkundigten uns auf dem Weg quer durch das Gebäude, zwei Stockwerke nach oben in ein kleines Zimmer danach, ob es wohl eine Raumänderung gegeben habe. Jaja, kam die Antwort und da wir nur so eine kleine Gruppe wären, wären wir heute die lucky ones. 

Spätestens beim Betreten des anderen Zimmers und bei einem Blick auf die Präsentation mit einem vollkommen anderen Titel (irgendetwas mit Mikropaleoökologie?), hätte uns klar sein müssen, dass es sich nicht um unsere Klasse handeln kann. Wir fragten also nach: Ähm, ist das hier Sustainable Development. Die Titelfolie der Präsentation schrie NEIN!, der Dozent nickte nur und bejahte sehr überzeugend.


Zu dritt setzten wir uns also und bemühte uns die Belustigung über diesen seltsamen Wandel der Dinge zu verbergen, während der Dozent unbeirrt begann uns von historischen Pollenfunden ausgestorbener Algenarten in polnischen Nationalparks zu berichten und seinen Vortrag mit zahlreichen Bildern von ebendiesen Algenarten und ihren Pollen untermauerte. Hatte ich zuvor noch angenommen, dass unser Lehrer vielleicht einfach krank war und nun eine Ersatzstunde zu einem anderen Thema stattfand, dämmerte es uns allen doch so langsam, als ich eine Nachricht von einem der anderen Kursteilnehmer bekam.

"Hey Verena, wo seid ihr denn?" , nun, die Frage war ja eher: "Wo seid ihr denn" und die Antwort doch sehr erschreckend: "Im Vorlesungssaal, der Dozent kam etwas später!" Spätestens nun war klar, dass es sich bei dem Kurs, in dem wir saßen wohl doch nicht um eine Ersatzstunde handelte und der Dozent wohl auf der Suche nach seinem Kurs die falschen Studierenden auf dem Gang erwischt hatte.

Nach einer Viertelstunde voller Bilder von Algen (look at these, very beautiful), den zugehörigen Pollen (only five scientists in the world can recognize these) und Bildern der Nationalparks, in denen die gefunden worden waren (you should visit this, it is beautiful), nahm ich mir also ein Herz und unterbrach den fremden Dozenten in seinem Redeschwall. "Entschuldigung, ich glaube da hat eine Verwechslung stattgefunden... das hier ist nicht unser Kurs!".

Nachdem wir ihn überzeugen konnten, dass wir tatsächlich nicht die richtigen Leute sind und sein Kurs wohl auf der Suche nach ihm irgendwo im Gebäude herumstreifte, ließ er uns gehen und während wir zu unserem Kurs zurückkehren konnten, machte er sich auf die Suche nach seinen Erasmusleuten... total verrückt.

Da all meine Kurse über Anwesenheit, Präsentationen oder durch Hausarbeiten bewertet wurden, stehen bei mir nun keine Klausuren mehr an. Alle Arbeiten habe ich abgegeben und die ersten Noten auch erhalten. Dabei ist es zunächst komisch eine 5 auf dem ausgedruckten Kurszertifikat zu sehen, bedeutet dies in Deutschland doch durchgefallen. In Polen ist es aber die beste Note - Glück gehabt also :)

Sogar im Polnischkurs habe ich gut abgeschnitten, wobei die 5 die ich dort bekommen habe nicht viel über meine tatsächlichen Kentnisse aussagt. Immerhin bin ich jetzt quasi auf dem halben Weg zu A1, das ist doch schonmal was. Auf die Frage (auf einem Evaluationsbogen zum Polnischkurs ), ob sich mein Polnisch durch den Kurs verbessert hab, konnte ich also getrost "Tak" (also Ja) ankreuzen, immerhin konnte ich zum Ende des Kurses endlich die Straße in der ich wohne richtig aussprechen.

(Meine Polnischlehrerin hat mich dafür zu Beginn des Kurses immer ausgelacht, weil ich ulica Strusia mit dem deutschen St betonte und es damit nicht wie den Nachnahmen des mir unbekannten Namensgebers Józef Struś, sondern wie das polnische Wort für Strauß aussprach... in der letzten Stunde hat sie mich also noch einmal nach dem Straßennahmen gefragt und meinte, dass der Kurs ja schonmal erfolgreich war, wenn ich wenigstens das nun richtig sagen könnte ;) )

Nachdem die Kursauswahl für das Sommersemester schon online ist und wieder einige interessante Veranstaltungen angeboten werden, freue ich mich auch schon auf die zweite Hälfte meiner Erasmuszeit und bin einmal gespannt wie groß das Chaos um den neuen Stundenplan dann an dem 20. Februar wird.